Das etwas andere Jahr

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2020, dieses Jahr geht wohl in die Geschichte ein. Mir kommt dieses Jahr immer noch etwas unwirklich vor, fast wie ein schlechter Film oder Traum. Aber bis jetzt bin ich noch nicht aufgewacht, es ist nicht Sonntagmorgen, wir sitzen nicht am Frühstückstisch und ich erzähle nicht von einem total absurden Traum, von einer Krankheit, die wie mein Fahrrad heißt.

Das Wort des Jahres ist Corona-Pandemie. Keine große Überraschung. Mein persönliches Lieblingswort des Jahres ist Hoffnungsautomatengebrauchsanweisung. Dieses Wort stammt aus dem Lied „Hoffnungsmaschine“ von Erdmöbel feat. Judith Holofernes. Eine Zeile in dem Lied lautet „Schreib eine Zeile pro Tag in die Hoffnungsautomatengebrauchsanweisung“. Dieses Lied ist schon etwas älter, aber ich bin erst in diesem Jahr darüber gestolpert und finde es sehr passend für 2020. Und so wie es aktuell aussieht, werden wir die Hoffnungsmaschine auch noch 2021 laufen lassen. 

Auch wenn 2020 kein leichtes Jahr war, gab es trotzdem viele schöne Momente. Es konnten zwar keine großen Familientreffen stattfinden ... kein Osterfeuer, kein Himmelfahrtgrillen im Garten, keine Muttertagstour, keine Geburtstagsfeiern, kein Weihnachtsadventtreffen. Aber umso schöner waren die kleinen Treffen, mit kleinen Teilen der Familie ... Kaffeetrinken mit Abstand, Frühstücken im Garten, Spaziergänge auch bei größter Kälte. Und ich bin mir ganz sicher, irgendwann werden wir uns alle wieder gemeinsam treffen können, dann wird es ein Riesenfest geben und die Mund-Nasen-Schutzdinger werden als Wimpelkette quer durch den Garten aufgehängt.

Kernfamilie ... noch so ein 2020-Wort. Meine Kernfamilie sind meine Lieblingsmenschen. In diesem Jahr sind wir eng zusammengerückt. So viel gequatscht, gespielt, gelacht und geweint haben wir lange nicht gemeinsam. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause gekommen bin, musste ich mich manchmal daran erinnern, hier brauchst du keinen Abstand halten. Diesen drei Menschen darfst du nahe kommen, die darfst du in den Arm nehmen. Ihr seid mein Knuffelcontact. Das ist übrigens das Wort des Jahres in Flandern. Ein sehr schönes Wort.


Der Bewegungsradius war 2020 auch sehr eingeschränkt. Im Januar waren der Lillymann und ich für einen Tag auf Sylt. Es war ein ganz wunderbarer Tag. Uns war zu dem Zeitpunkt nicht klar, dass dies unser einziger gemeinsamer Ausflug in diesem Jahr sein würde. Einen weiteren Ausflug habe ich zusammen mit Oma gemacht. Wir sind zur Preisverleihung für den Insektenfreundlichsten Garten nach Kiel gefahren. Auch wenn ich nicht zu den Hauptgewinnern gehörte, war es das gesellschaftliche Highlight des Jahres. 
Ansonsten war ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad hier in der Umgebung unterwegs ... im Wald, am Deich, im Moor. Zum Glück wohnen wir recht ländlich und es gibt viel Abwechslung beim Spazieren gehen. Doch mittlerweile kennen wir jeden Baum und jeden Grashalm.
Mein absoluter Lieblingsort in diesem Jahr war allerdings mein Schrebergarten. Ich bin so froh, das wir diesen kleinen Ort für uns haben. Sobald ich die Gartenpforte hinter mir zu mache, kann ich durchatmen und Kraft tanken. Das blöde Corona darf hier nicht rein. Das sind meine 425qm heile Welt. Hier geht es nur um Blumen, Gemüse, Hummeln, Vögel. Ich habe dieses Jahr nicht ganz so viel geschafft, wie ich eigentlich wollte. Aber immerhin habe ich die Fenster der Gartenlaube gestrichen. Die Laube selbst ist dann nächstes Jahr dran.


Ein Ort an dem ich auch sehr viel Zeit verbracht habe, war natürlich die Bücherei ... mein Arbeitsplatz. Die Arbeit in Bibliotheken hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Bibliotheken sind zum dritten Ort geworden. In unsere Bücherei kommen täglich ca. 700 Personen. Es ist immer was los. Es kommen alle Altersgruppen, nicht nur um Bücher und andere Medien auszuleihen. Es wird Zeitung gelesen, Kaffee getrunken, im Internet gesurft, Nintendo gespielt. Es wird gelernt, Nachhilfe gegeben, man trifft sich mit anderen. Es finden Lesungen, Führungen,  Bastelnachmittage, Mario-Kart-Rennen statt. Es wird beraten, gequatscht, gelacht.
Im März musste unsere Bücherei das erste Mal schließen. Übrig geblieben waren nur wir Mitarbeiter. Wir mussten uns zusammen raufen, natürlich mit Abstand. Kreativität war gefragt. Wir versuchten uns gegenseitig zu motivieren. Von den Vorgesetzten kam nicht wirklich was. Täglich riefen uns Leute an, die fragten, wann wird wieder aufgemacht. Nach viel hin und her durften wir einen Abholservice starten.
Ich bin für Veranstaltungen zuständig. In einer geschlossen Bücherei nicht ganz einfach. Aber zum Welttag des Buches haben wir einen Schreibwettbewerb gestartet. Die Geschichte sollte eine Din A4 Seite lang sein und diese Wörter enthalten: Urlaub, Springbrunnen, chillen, Autobahnpolizei und Pfannkuchen. Ich war sehr gespannt. Würde überhaupt jemand mitmachen? Es erreichten uns fast 100 Geschichten. Wir waren überwältigt. So viele tolle Geschichten und jede war anders. 
Ende Mai durften wir dann endlich wieder öffnen. Aber auch das war anders als vorher. Es dürfen nicht unbegrenzt Leute rein. Man kann nur Medien ausleihen und zurückgeben, kein längerer Aufenthalt, kein dritter Ort, keine Veranstaltungen. Für einige Menschen schwer verständlich. Aber die Mehrheit war froh, wenigstens wieder Medien ausleihen zu können. 
An spontanen Veranstaltungen folgten Bastelpackungen für Zuhause, Videos vom Bibliothekskater Wisky und mein persönliches Highlight ein „Online Escape Room“, der es auf fast 800 Besuche geschafft hat und für den ich sogar im Radio interviewt wurde.

Mittlerweile mussten wir zum zweiten Mal schließen. Aktuell gibt es auch keinen Abholservice. Das erste Mal seit bestimmt zwanzig Jahren habe ich zwischen Weihnachten und Neujahr frei. Wie es im neuen Jahr weiter geht, steht noch nicht fest. 


Letztes Jahr hatte ich mir als guten Vorsatz vorgenommen, all meine Wollreste zu verstricken und meine Stoffreste zu vernähen. Die Wollreste sind tatsächlich etwas zusammen geschrumpft. Aber ich konnte auch nicht widerstehen und habe mir neue Wolle für eine Strickjacke gekauft. Sie ist fast fertig. Ich bin beim zweiten Ärmel und freue mich schon sehr darauf, sie anzuziehen. Dadurch, dass wir auf der Arbeit so viel lüften müssen, ist meine Strickjacke vom letzten Jahr im Dauereinsatz.
Bei den Stoffresten wäre ich Anfang des Jahres nie auf die Idee gekommen, dass sie so nützlich werden würden. Über 100 Mund-Nasen-Schutzdinger habe ich genäht ... fürs Altenheim, den Pflegedienst, Familie, Freunde, Kollegen. Danach brauchte ich unbedingt schönen Stoff für schöne Sachen. So sind hier im Laufe des Sommers einige T-Shirts, eine Bluse und mein Lieblingskleidungsstück des Jahres 2020 Jogginghosen entstanden. Der Lillymann hat zwei erhalten und für mich habe ich auch zwei genäht. Mit einer kommt man ja nicht weit und so stand unserem Jogginghosenweihnachten nichts im Weg.
So nehme ich den alten Vorsatz mit ins neue Jahr und werde auch 2021 daran arbeiten, die Woll- und Stoffreste zu reduzieren.


Gelesen habe ich in 2020 natürlich auch. Zu meinen Lieblingsbüchern in diesem Jahr gehört die Buchserie „Die sieben Schwestern“ von Lucinda Riley. Nachdem sie mir in den letzten Jahren immer wieder von verschiedenen Leuten ans Herz gelegt wurde, bei uns in der Bücherei Dauerausleihrenner sind und auch Oma sie gleich am Anfang der Pandemie verschlungen hat, habe ich dann auch mit dem ersten Band angefangen und sie machen wirklich süchtig. Voller Spannung warte ich nun auf den siebten und letzten Teil.
Ein weiteres Buch, das ich jedem ans Herz legen möchte, ist „Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam: Bekenntnisse einer Guerillagärtnerin“ von Christiane Habermalz. Dieses Buch stand bei uns im Neuheitenständer der Bücherei und der Titel und das Cover haben mich sofort angesprochen. Obwohl es ja eher in die Kategorie Sachbuch fällt, liest es sich super. Die Autorin schreibt mit viel Humor und ich habe vieles erfahren, was ich vorher noch nicht wusste. Eigentlich mag Christiane Habermalz keine Insekten, aber sie liebt Vögel und die brauchen nun mal Insekten. Also versucht sie in Berlin kleine Inseln für Insekten zu schaffen. In dem Buch begleitet man die Journalistin bei ihren Recherchen und Nacht-und-Nebel-Aktionen. Meiner Meinung nach sollte es Pflichtlektüre für all die Gartenbesitzer werden, die meinen, sterile Grünflächen und aufgeräumte Gärten seien das Nonplusultra. Ein bisschen natürliche Unordnung hat noch keinem Garten geschadet. Hier ist nach der Lektüre sofort ein Natternkopf in den Garten eingezogen und im Frühjahr werde ich auch noch etwas Saat davon verstreuen.


Das war mein Jahresrückblick 2020. Was nehme ich für mich mit ins Jahr 2021? Wir haben vieles für selbstverständlich hingenommen. Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie schnell sich Normalität verändern kann. Was bisher völlig normal war, ist auf einmal etwas Besonderes - Familie oder Freunde treffen, Konzerte, Theater, Lesungen, durch Geschäfte bummeln, Kaffee trinken gehen, Ausflüge, Urlaub woanders. Ob es jemals wieder so wird, wie vor 2020 kann keiner sagen. Aber ich hoffe sehr, dass wir alle aus diesem Jahr gelernt haben, uns wieder an Kleinigkeiten zu erfreuen.

Und so lasse ich die Hoffnungsmaschine weiter laufen ...


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